Journalismus: Eine Auswahl der Stationen und Themen, die ich bearbeiten durfte

Journalismus – (m)eine Sucht

Vor Oktober 2008 kannte ich mein Campusradio Hertz 87.9 nur, weil dieser Radiosender bei Freunden immer in der Küche lief. Und über drei Ecken kannte ich einen ehemaligen Chefredakteur. Ich hatte Geschichten gehört, dieser Sender mache süchtig. Und er hindere die aktiven Redakteure am Studieren, denn man stecke freiwillig sehr viel Zeit in diese Arbeit. Zeit, die dann beim Studieren fehlte. Viele der aktiven Radiomacher verbrächten 40 oder mehr Stunden mit der journalistischen Arbeit bzw. mit anderen Dingen, die mit dem Sender zu tun haben. All diese Geschichten sind wahr. Zumindest für mich. Eine ganze Weile lang.

Mein Studium sieht einen gewisse Anzahl an Creditpoints für das sogenannte Praxismodul vor. Ein „richtiges“ Praktikum soll man machen und dann noch Kurse, die nicht rein theoretischen Inhalt haben. Früher hatte dieses Modul mal den formschönen Titel „Sprachliche Eigenkompetenz“, weil man mindestens einen Sprachkurs oder ein Sprech- bzw. Präsentationstraining belegen sollte. Zusätzlich gab es da dann für Linguisten Kurse wie „Kommunikationstrainings in Theorie und Praxis“ oder „Journalistische Formate“, mittlerweile werden auch Kurse wie „Gesundheitskommunikation“ angeboten. Man soll also neben dem ganzen „Theoriekram“ auch lernen, was man hinterher werden könnte wenn man nicht an der Uni bleiben und in die Wissenschaft gehen möchte.

 

Praxiserfahrung? Arbeitsproben? Ja, einmal alles bitte!

Ich habe fast jeden der genannten Kurse besucht plus Sprachkurse und Präsentationstraining. Einfach weil all diese Kurse damals versprachen, man würde dort „etwas mitnehmen“, „Erfahrungen sammeln“ oder „die Teilnahme erleichtere den Einstieg in den Beruf“. Das war in den meisten Fällen nicht so; außer in diesem einen, den ich eigentlich nur der Punkte wegen überhaupt in meinem Stundenplan abgespeichert hatte: „Theorie und Praxis des Hörfunkjournalismus: On Air bei Hertz 87.9“.

Die ersten Sitzungen waren noch relativ unspektakulär, die regelmäßige Teilnahme an der Redaktionssitzung eher verwirrend als hilfreich. Dann aber kam die Praxis – eine Umfrage – und das war erstmal eine große Überwindung. Mit dem Mikro in der Hand fremde Leute ansprechen und sie bitten auf meine Frage zu antworten – eine ungewohnte Situation. Dann ging aber alles sehr schnell, denn ein Semester ist gar nicht so lang wie es einem manchmal vorkommen kann. Also Aufnahmegerät in die Hand, O-Töne eingeholt, Umgang mit dem Schnittprogramm erlernt, Umfrage produziert, ersten Beitrag produziert und schon war die Vorlesungszeit um und die Abschluss-Sendung vom Seminar stand an. Und wieder Überwindung: meine erste Moderation. Live.

 

Einmal angefixt musste ich einfach weitermachen

Innerhalb von ein paar Monaten hatte ich also die Basics des Radiomachens gelernt und tatsächlich so etwas wie Ergebnisse in der Hand – denn die Produkte sind da, man kann sie mit nach Hause nehmen, archivieren und immer wieder nachhören (wenn ich das heute mache ist es aber doch ziemlich laienhaft und gar nicht mehr so spektakulär wie damals – die richtig interessanten Themen kamen erst mit der Zeit. Und der Erfahrung).

Das Tolle an Hertz 87.9 ist, dass man in den meisten Fällen genau die Themen bearbeiten kann, die man spannend findet. Man wird nicht an ein Thema gesetzt, denn die Inhalte dieses Senders sind eben die Themen, die die Redakteure interessieren. Sie sind nicht nur Macher, sondern bilden auch einen Teil der Zielgruppe. Und das ist eine unglaubliche Freiheit. Und eine unglaubliche Chance. Nachdem ich den Kurs erfolgreich abgeschlossen hatte, schloss ich ein Vollzeit-Praktikum im Sender an, um den Redaktionsalltag besser einschätzen zu können. Und dann konnte ich wieder nicht anders: im Anschluss an das Praktikum lag meine Bewerbung für die halbe Stelle der Ressortleitung Kunst &Kultur auf dem Schreibtisch der Chefredaktion.

 

Journalistin, Moderatorin, Redaktionsmitglied

Das positive Wahlergebnis motivierte noch mehr. Ich wollte irgendwie alles ausprobieren. Und das habe ich dann auch über die Jahre meiner aktiven Zeit gemacht: alle Formate, alle Sendungen, alle Positionen, alle Ressorts. Ich habe mich mit Themen auseinandergesetzt, die ich vorher überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Niemals zuvor (und auch danach) war ich besser über aktuelle Veranstaltungen und Themen informiert als zu dieser Zeit.

Magazinsendungen, aktuelle Hochschulthemen, Interviews, Pressekonferenzen, Musiksendungen, Varieté-Shows, Talkformate, Film- und Serienrezensionen für Kino und DVD, Buchbesprechungen, Reportagen, Beiträge, Vernissagen, Tanzperformances, Sportereignisse wie die GWO, Vorträge und Konferenzen und, last but not least: Wissenschaftsjournalismus.

Das war mein Leben für eine geraume Zeit: Wissenschaftliche Themen aufbereiten und auf ca. vier Minuten so präsentieren, dass sie von einem Laienpublikum verstanden werden. Das ist wie Die Sendung mit der Maus im Kleinen. Ich lasse mir viele Dinge erklären, lerne unheimlich viel. Es ist einfach unglaublich wie viele tolle Menschen man dabei trifft und wie viele spannende Themen plötzlich auftauchen, mit denen man sonst nie in Kontakt gekommen wäre. Und dann die Highlights: die „großen Köpfe“, mit denen man Interviews führen darf.

 

Meine Top 3 – Interviews

1. Anfang Februar 2012: der spätere Bundespräsident Joachim Gauck ist für eine Lesung im Theater Bielefeld: „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“. Obwohl ich über sein Veranstaltungsmanagement im Anschluss einen Interviewtermin vereinbart habe, will Herr Gauck nicht mit mir sprechen. Er hatte schon Fototermine, hätte den Termin mit mir schließlich nicht persönlich gemacht. Ich bleibe hartnäckig, überrede ihn schließlich – und bin umso nervöser und noch stolzer als er nach dem Interview sagt „Gut, dass Sie mich überredet haben“. WOW.

2. Im Juni 2010 war die (damalige) Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. h.c. Charlotte Knobloch, für einen Vortrag in der Uni Bielefeld. Ihr Thema: „Zeitzeugen – Judenverfolgung im Nationalsozialismus“. Ich habe selten einen beeindruckenderen Vortrag gehört und auch selten eindrucksvollere Antworten auf meine Fragen bekommen.

3. Anfang Februar 2010: Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler spricht am Bielefelder ZiF über die Strukturen des Buchmarktes: „Wer bestimmt, was wir lesen? Der globalisierte Buchmarkt und die Bücherflut: Wie literarische Moden gemacht werden und welche Rolle die Literaturkritik dabei spielt“. Ich habe früher immer gern das Literarische Quartett geschaut und bin ein heimlicher Fan. Und ich darf nicht nur den Vortrag aufzeichnen, sondern auch noch ein kurzes Interview mit Sigrid Löffler machen. Eine tolle Frau, die an diesem Abend auch noch die Ehrendoktorwürde der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft verliehen bekommt. Bei Hertz 87.9 ist es vor allen anderen in den Nachrichten.

 

Drei Jahre, hunderte von Sendungen, Themen und Begegnungen

Ich bin tatsächlich in dieser Zeit so viel Kultur, so viel Wissenschaft und so vielen Menschen begegnet, dass ich das kaum auf drei Ereignisse reduzieren kann – dennoch, das waren meine persönlichen Gänsehaut-Interviews.

Im Gedächtnis bleiben werden mir aber definitiv auch alle meine Talk-Sendungen, egal wer als Gast bei mir im Studio war. Unter anderem der Gewinner der Castingshow Star Search, Comedian und Zauberer Ingo Oschmann, der Autor Peter Plöger oder der aus der Fernsehshow Dittsche und von der Band Texas Lightning bekannte Schauspieler Jon Flemming Olsen, der sogar extra samstags zu mir ins Studio kam.

Und ebenso toll waren die Interviews mit Tennisspieler Roger Federer, den Autoren Paul Maar, Selim Özdogan und Volker Kutscher oder mit dem Satiriker Wiglaf Droste.

 

So ganz aufhören geht nicht

Gerade jetzt im Rückblick hatte ich eine sehr intensive und eindrucksvolle Zeit. Viele Experteninterviews zu wissenschaftlichen Themen waren nicht nur an sich spannend, sondern es war vor allem beeindruckend zu sehen (und zu hören!), wie jemand für sein Fach oder seine Forschung brennt. Und wenn meine Interviewpartner dann noch eloquent waren und tolle Stimmen hatten, dann habe ich gern einfach nur zugehört – und gelernt. Kein Wunder also, dass mich diese Arbeit so fasziniert hat. Und dass ich nicht so ganz den Absprung finde. Ab und zu packt es mich und ich bastele dann eine Buchkritik oder mache einen Bericht vom Tanzfestival Bielefeld oder was gerade so ansteht. Denn irgendwie würde mir etwas fehlen, würde ich nicht ab und zu ein Aufnahmegerät oder ein Mikro in der Hand halten. Ganz aufhören geht halt nicht.

 

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