Füllwörter und Dopplungen: Wofür sie gut sind

Unnötige Wörter in Texten? Sofort streichen! Alles kürzen, was nicht nötig ist – sofort! Solche Tipps gibt es gerne mal von Copywriting-Expert*innen und ja, je nachdem, um welchen Text es sich handelt, geh ich da auch mit. Es gibt Wörter, die Texte aufblähen, die unnötig Aufmerksamkeit und Energie ziehen, wenn Schreibende eben nicht auf den Punkt kommen. Wie so oft gibt es aber zwei Seiten: Weil Sprachverarbeitung nicht glatt und immer logisch ist.

 

Es gibt sie (zu) oft, diese Posts, in denen es um „Wortmonster“ geht oder um „unnötige“ Wörter. Auf LinkedIn kann man damit viel Reichweite generieren, weil darauf viele Leute anspringen und ihrerseits dann Beispiele in den Kommentaren sammeln, wie schlecht manche Texte doch sind.

In diesem Artikel möchte ich gern auf die Dopplungen eingehen, diese „bösen Wörter“, die gerne Ziel von Häme werden und getilgt werden sollen.

Es geht um Wörter wie diese hier:

  • Koi-Karpfen
  • Düsenjet
  • Chai-Tee
  • Windböe
  • La-Ola-Welle
  • Glasvitrine
  • Zukunftsprognose

All diese Ausdrücke fallen in die Rubrik “doppeltgemoppelt”, Pleonasmen im weitesten Sinne.

Das Paradebeispiel für das Stilmittel Pleonasmus ist “weißer Schimmel” – ein STILMITTEL. Und damit eben kein Grund, das auszumerzen, sondern – im Gegenteil – um damit besondere Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Das bedeutet, dass man solche Ausdrücke ganz bewusst verwenden kann, um den Fokus der Leser*innen darauf zu lenken.

Aber leider werden solche Mechanismen in der Alltagskommunikation und bei Schreib-Tipps vergessen. Viele Menschen verallgemeinern dann: Wir haben es dann zu tun mit “aufgeblähten Texten” und “unnötigen Wörtern”, “komplizierten Formulierungen” und “schlechtem Stil”.

Ich habe eine andere Meinung dazu.

Denn ich weiß, wie Sprache im Gehirn verarbeitet wird (zumindest so weit, wie wir es wissen – das Gehirn ist in weiten Teilen immer noch eine Blackbox. Aber Modelle gibt es!).

­Worum geht es? Um Sprachverarbeitung…

Findest du es nicht auch faszinierend, dass Gespräche ohne Pausen funktionieren? Dass unser Gegenüber, nachdem wir etwas gesagt haben, sofort eine (angemessene) Antwort geben kann? In Millisekunden?

Das geht nur, weil wir, während jemand spricht, schon unsere möglichen Antworten planen. Wir denken die ganze Zeit mit, formulieren mit, suchen uns schon alle Informationen in unserem mentalen Lexikon zusammen. Und reagieren auf ALLE benutzten Wörter/Ausdrücke/Phrasen.

In diesem mentalen Lexikon sind nicht nur die Wörter und ihre Bedeutung abgespeichert, sondern auch grammatikalische Besonderheiten, Verwendung, phonetische und phonologische Informationen (= wie spreche ich das aus?) und so weiter.

Und vor allem wird in unserem mentalen Lexikon nicht EINE Bedeutung abgespeichert, sondern alle möglichen Bedeutungen und auch angrenzende Begriffe, die auch nützlich sein könnten. Kontextinformationen sozusagen.

Lesen wir also das Wort Windböe, dann werden vielleicht Infos aktiviert wie:

  • Wind
  • Böe
  • Sturm
  • kalt
  • Herbst
  • ungemütlich
  • rote Wangen
  • Mütze
  • segeln
  • Windgeschwindigkeit
  • pusten
  • tosen
  • Regen
  • (auf-)wirbeln
  • Meer
  • Deich
  • Norden

Je nachdem, welche Referenzereignisse du abgespeichert hast, kann sich diese Liste noch erweitern oder aber verkürzen. Zusätzlich werden die jeweiligen Lexikon-Einträge aktiviert, die zu den Begriffen gehören.

Es entsteht also ein sehr komplexes System aus Begriffen und Bildern, die aktiviert werden. Unsere neuronalen Netze sind sehr komplex und sehr individuell.

Und wir haben sofort ein mehr oder weniger komplexes Bild im Kopf.

Lese ich hingegen nur das Wort Böe, dann begrenze ich diese Auswahl. Schade, oder?

Klarheit durch “Füllwörter”? Ja, geht

Noch eindeutiger wird meine Argumentation, wenn wir davon ausgehen, dass nicht JEDE*R den geschriebenen Begriff kennt.

Ein Koi ist erstmal nur eine Ansammlung von Buchstaben bzw. von Phonen. Wenn ich das Wort nicht kenne, kann ich nicht verstehen, worum es geht. Schreibe ich hingegen Koi-Karpfen, dann ist es ganz klar, dass ein Koi eine bestimmte Art von Karpfen ist. Eindeutig (sofern ich weiß, was ein Karpfen ist).

Und so ist es auch mit den anderen Begriffen.

Eine La-Ola-Welle ist eine “Die-Welle-Welle”, aber nur für die, die Wort für Wort übersetzen. Für die Leser oder Hörer, die den spanischen Ausdruck nicht kennen, ist es unverständlich. In einem Kontext würden diese Hörer also schneller verstehen, worum es geht, wenn ich ihnen durch den Begriff “Welle” ein zusätzliches Bild in den Kopf setze.

Übrigens…

Auch bei zusammengesetzten Wörtern kommt gern mal der Hinweis: STREICHEN!

Zum Beispiel herunterfallen, vorausplanen, zurückerinnern, nachrecherchieren etc.

Aber streichen ist nicht immer das Mittel der Wahl. Denken wir wieder an die Aktivierung im Gehirn, dann können solche Begriffe Räume im Kopf öffnen, die sonst nicht da wären, das Bild wird detaillierter, vielschichtiger, reicher.

Und was ist jetzt mit den aufgeblähten Texten?

Gute Frage. Leser oder Hörer werden sich selten an Ausdrücken stören, die sie gewohnt sind. Und das ist dann der Fall, wenn viele Sprecher diesen Ausdruck verwenden. Etwas wird dadurch zwar nicht richtiger, aber eingängiger.

Bedeutet: Diejenigen, die den Ausdruck kennen und auch das “doppelte“ daran, die werden es vermutlich verkraften können, den Ausdruck zu lesen oder zu hören.

Aber die, die irritiert sind, weil ein Begriff unklar ist, werden vielleicht nicht weiterlesen. Liegt an der ökonomischen Denkweise – gerade im Web muss es schnell und leicht gehen.

Daher: Nicht jeder Begriff sollte weggelassen werden, bloß weil es “korrekt” oder zumindest möglich wäre. In manchen Fällen ist es sogar clever, den Ausdruck länger, dafür aber schneller erfassbar zu machen.

Weil ich bei La Ola eventuell nicht so schnell die Wellenbewegung bildlich vor Augen habe als wenn jemand das Wort “Welle” verwendet.

Noch mehr unnötige Wörter? Über “echte” Füllwörter

Wenn wir normalerweise über Füllwörter reden, dann über solche hier:

  • sehr
  • besonders
  • vielleicht
  • eventuell
  • ganz
  • ziemlich
  • eigentlich
  • mal
  • wieder
  • etwa
  • gewissermaßen
  • anscheinend
  • dann
  • genau
  • doch

Und für diese speziellen Wörter empfehlen Schreib- und Sprachexperten gern mal, sie “auszumerzen” – völlig überflüssig, diese Wörter!

Sehe ich nicht so.

Und meine Kollegin Dorit Flor auch nicht. Und weil sie die Begründung für unsere Haltung so wunderschön beschrieben hat, will ich hier auch gar nicht groß herumreden.

Lies ihren tollen Artikel zum Thema Füllwörter (und verwende sie dann ganz bewusst und gern!)

Unsere Freunde, die Füllwörter… können ganz schön nützlich sein!

 

Sprache und Sprachverarbeitung sind komplexe Prozesse. Daher ist es keine Lösung, nach starren Regeln zu texten. Vielmehr ist es wichtig, sich über die Wirkung von Text und Sprache allgemein Gedanken zu machen. Denn jedes Wort tut etwas im Satz. Manche stören tatsächlich, machen den Satz schwammig. Aber manche helfen den Leser*innen auch dabei, leichter zu lesen. Auch wenn der Text dadurch länger ist.

   
2 Kommentare
  1. Stefan Wetterau sagte:

    Vielen Dank, dass du hier die Lanze brichst für die Füllwörter brichst und das so tiefgehend erklärst! Ich schreibe in Papyrus Autor, und dessen Markierungen zu Füllwörtern bereiten mir immer wieder Kopfzerbrechen, auch wenn es nur ein Automatismus ist und die Software den größeren Zusammenhang natürlich nicht kennt. Ich komme dann drüber weg, wenn ich mir die Sätze laut ohne die Füllwörter vorlese. Dann stelle ich fest, dass sie durchaus ihre Daseinsberechtigung haben.

    Antworten
    • Anna Koschinski sagte:

      Lieber Stefan,
      ja das ist so eine Sache. Die glattpolierte Botschaft ist im berichtenden Journalismus gut, aber eben nicht für die Zwischentöne. Daher war es mir wichtig, das hier noch einmal aufzudröseln. Und stimmt – gerade die Schreibprogramme verstehen davon einfach nichts. Genauso wie die SEO-Plugins leider nichts von SEO verstehen, sondern nur Wörter zählen. Wir dürfen da öfter auf unser Sprachgefühl vertrauen!

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